Ein recht gestaltloses und unzulängliches Buch

„Ich nannte dieses Buch ursprünglich: »Was unrecht ist«, und es hätte Ihr sardonisches Naturell befriedigt, die vielen gesellschaftlichen Mißverständnisse zu beobachten, die aus der Anwendung dieses Titels entstanden sind. Gar manche sanfte Dame, die auf Besuch kam, machte große Augen, wenn ich gelegentlich bemerkte: »Ich tat den ganzen Vormittag nichts anderes als ›Was unrecht ist‹.« Und ein Geistlicher zuckte heftig in seinem Stuhle zusammen, als ich sagte (wie er es verstand), daß ich schnell einmal hinauf laufen müsse, etwas Unrechtes tun, aber gleich wieder unten sein wolle. Welchen verborgenen Lasters sie mich insgeheim beschuldigten, kann ich nicht genau sagen, aber ich weiß, wessen ich selbst mich anklage; nämlich: ein recht gestaltloses und unzulängliches Buch geschrieben zu haben, eines, das ganz unwürdig ist, Ihnen gewidmet zu werden. (…) ich tue es zum Teil, weil ich glaube, daß ihr Politiker, ein paar unbequemer Ideale wegen, um nichts schlechter dran seid; aber mehr noch darum, weil Sie die vielen Diskussionen, die wir miteinander hatten, wiedererkennen werden, jene Diskussionen, die die allerwunderbarste Frau der Welt niemals sehr lange ertragen könnte. Und vielleicht werden Sie mit mir darin einig sein, daß die Fäden der Konversation und Kameradschaft gehütet werden müssen, weil sie so unbedeutend sind. Sie müssen heilig gehalten werden, sie dürfen nicht abgerissen werden, weil sie nicht wert sind, neu angeknüpft zu werden. Gerade weil die Diskussionen müßig sind, müssen die Menschen (ich meine die Männer) sie ernst nehmen; denn (so fühlen wir) wann, vor dem jüngsten Tage, werden wir wieder einen so köstlichen Streit haben? Aber vor allem biete ich Ihnen dieses Buch darum an, weil es hienieden nicht nur Kameradschaft gibt, sondern noch etwas ganz anderes - Freundschaft; ein Einigsein über alle Argumente hinweg und ein Band, das, so Gott will, niemals reißen wird. …“

G. K. Chesterton

Exzerpt aus Gilbert Keith Chesterton: „Was unrecht ist an der Welt“, Musarion Verlag, autorisierte Übertragung von Clarisse Meitner, 1924


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Dieser Artikel wurde veröffentlicht am 15. März 2018 auf www.intrinsis.de unter ../START.html/2018/03/15/ein-recht-gestaltloses-und-unzulaengliches-buch/

PH - 2018-03-15

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