Wabi Sabi

Das Wortspiel „Wabi Sabi“ kommt aus dem Japanischen und besagt so viel wie „Erste Zusammenkunft - Letzte Zusammenkunft“

„Wabi Sabi“ kann u. a. als philosophische Entwicklungsgrundlage für intuitives Design dienen, wobei Botschaft und Design analog zu „Wabi Sabi“ als miteinander in Beziehung stehend bzw. ineinander verschränkt gedeutet werden [1].

Bei welcher Tätigkeit man auch immer „Wabi Sabi“ berücksichtigt, das Ergebnis wird weder absolut statisch noch absolut dynamisch, mithin ideologisch „statistisch“ oder „dynamistisch“ erfahren, sondern intuitiv und authentisch, sozusagen als notwendige Zwischenstation auf einem Weg, gleichsam als Wegmarke für den Wanderer, für den Betrachter, für den Nutzer.

Die beiden Begriffe „Wabi“ und „Sabi“ können im Grunde nicht getrennt voneinander existieren. Die Bedeutung des Wortspiels „Wabi Sabi“ erscheint auf den ersten Blick trivial, erschliesst sich jedoch in einer gewissen Komplexität durch das bewusste Zulassen eigener Intuition auf mehrere Metaebenen.

Die Miteinbeziehung von Intuition als gleichrangige Entscheidungsinstitution neben erlernten und bewährten Parametern, Gesetzmässigkeiten und Dogmen kann zur folgenden Erkenntnis führen: was im Moment an Äusserlichem benötigt und nach langem Suchen gefunden wird, besitzt eine Analogie zur inneren Welt, zur Transzendenz oder anders ausgedrückt: das Äussere interagiert mit dem Inneren, und was im Moment an Verinnerlichtem benötigt wird, das befindet sich im Äusseren und könnte dort quasi „Just-In-Time“ gefunden werden. „Sabi“ ist hierbei der Anteil des Strebens nach dem Ideal im Äusseren und „Wabi“ analog dazu der Anteil des Strebens nach dem Ideal im Inneren. Beide Bestrebungen geschehen in der Erkenntnis, dass „Streben“, „Suchen“ oder „Wandern“ nicht Ziele an sich darstellen sondern Vektoren in Richtung eines Zieles. Das Ziel in seiner ultima ratio ist die Wahrheit selbst.

Massiv dagegen steht jedoch die Versuchung zur ideellen Fixierung auf den maximalen Ausgleich, also die Fixierung auf absolute Harmonie. „Absolute Harmonie“ zwischen „Wabi“ und „Sabi“ wäre jedoch tatsächlich nicht mehr „Wabi Sabi“, sondern vielmehr Tyrannei - entweder die Tyrannei einer bestimmten, fixierten äusseren Form auf das verinnerlichte Nichtideologische oder die Tyrannei einer bestimmten inneren, fixierten Idee, mithin Ideologie auf die äussere Form!

Hiergegen verhilft der Archetyp des „Wanderers“ zum besseren Verständnis der ineinander verschränkten Metaebenen und wird daher auch als „Wabi Sabi Archetyp“ bezeichnet:

„Ein Wanderer

ist auf dem Weg über Land,

als die Dunkelheit hereinbricht.

Wo wird er eine Unterkunft für die Nacht finden?

Er sammelt Binsen,

die auf den Feldern liegen

und bindet sie an der Spitze zusammen.

Der zeltartige Raum bietet ihm den gewünschten Schutz.

Am Morgen

löst der Wanderer den Knoten,

die BINSEN fallen auseinander und liegen wieder dort, wo er sie aufnahm.

Das nächtliche Lager hinterläßt kaum eine Spur,

außer einigen LEICHT GEKNICKTEN BINSEN

und der Erinnerung im Gedächtnis des Wanderers.“ [2]

Der Eindruck von Perfektion entsteht im Bewusstsein des Betrachters, insoweit er seiner (inneren) Intuition folgt und er sich das vorgefundene Äussere - je nach den aktuellen Gegebenheiten - auf eine, nach Eigenart der vorgefundenen Ressourcen entsprechende Weise, dienstbar zu machen vermag. Die vorgefundene Perfektion selbst ist jedoch nicht die Wahrheit an sich!

Von diesem metaphysischen Standpunkt aus steht „Wabi Sabi“ für das Akzeptieren des vorgefundenen Äusseren als Hilfsmittel für den Wanderer auf seinem Weg gleichsam als Pädagogik der Wahrheit [3]. Daraus folgt die Erkenntnis: Das Ziel, die causa finalis [4], die Wahrheit nämlich, kann in der Beobachtung der Natur erkannt werden, liegt jedoch mitnichten im Auge des Betrachters, so, als ob die Wahrheit vom Betrachter abhinge. Wäre dies so, dann gäbe es für den Wanderer keine Veranlassung zu wandern, aber indem er wandert, nähert er sich der Wahrheit, nämlich vermittels die Beobachtung der Natur.

„Jugend“, „Midlife“ und „Alter“ kennen von daher keine „Crisis“, sondern vielmehr die Chance aus einer selbstgewählten, über die Jahre sich eingestellt habenden statischen Fixierung herauszugelangen, wieder hin zum geschmeidigen Handeln und Erkennen nach der Intuition, jedenfalls insoweit man wieder „Wanderer“, mithin „Suchender“ sein will oder zu sein sich müht.

Aus der Erfahrung des intuitiven Handelns kommt auch das Bestreben, alle vorgefundenen Dinge in ihrem Originalzustand bewahren zu wollen und nach Möglichkeit nicht zu artfremden Konstruktionen im Dienst irgendeiner ideologischen Fixierung zu manipulieren, was einer Tyrannei des „Sabi“ über das „Wabi“ gleichkäme. Im Gegenteil: solide Dinge, die sich jemandem scheinbar bewegungslos entgegenstellen, wie zum Beispiel ein „Fels“ oder ein querliegender „Baumstamm“ sind, anhand „Wabi Sabi“ interpretiert, eine Chance die selbstgewählte „Fixierung“, also das „Stehenbleiben“ aufzugeben und unmittelbar und intuitiv der sich darbietenden Situation gemäß zu handeln und endlich also, wenn auch im Anfang als beschwerlich wahrgenommen, weiterzuwandern, beispielsweise über einen Umweg, der sich im Nachhinein als fruchtbar auf einer anderen Metaebene erweisen kann aber nicht muss.

Fazit

Auf dem „Weg des Wanderers“ kommt es zu „Zusammenkünften“. Eine erste („Wabi“) und irgendwann eine letzte Zusammenkunft („Sabi“). Alle Zusammenkünfte haben einen Sinn im Hinblick auf ein Zwischenziel oder auf das Ziel [4] und wechselwirken sowohl mit dem Wanderer als auch mit der Umwelt.

Äussere und innere Wanderung

Der innere Wanderer kann, sich erinnernd, ohne zeitliche Verzögerung durch seine bisher erlebte Welt „wandern“. Da die Wanderung nicht ziellos sein kann, bedeuten diese Erinnerungen Wegmarken zur Orientierung im Hinblick auf das Ziel.

Ideologische Fixierungen aber behindern den Wanderer auf seinem Weg und so mancher verbleibt in Ideologie, da sie vermeintlich Sicherheit bietet - „vermeintlich“, da die Sicherheit der Fixierung dazu führen muss Abwehrmassnahmen gegen weiterführende Einflussnahme zu ergreifen: der Wanderer hört also auf Wanderer zu sein indem er stehen bleibt und den Standpunkt als Besitz verteidigt, anstatt ihn frei zu machen für nachfolgende Wanderer.

Dieser folgende, sehr alte Text verdeutlicht das ideale Ziel des Wanderers:

„Gesegnet ist der Mann, der auf den Herrn sich verläßt und dessen Hoffnung der Herr ist. Er ist wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und am Bach seine Wurzeln ausstreckt: Er hat nichts zu fürchten, wenn Hitze kommt; seine Blätter bleiben grün; auch in einem trockenen Jahr ist er ohne Sorge, unablässig bringt er seine Früchte.“ [5]

PH

[1] vgl. Artikel „Der Zen der Dinge - Fernöstliche Spuren im modernen Design“ aus SPIEGEL SPECIAL 6/1995 „Das Jahrhundert des Design“ > http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-9184500.html | Backup .txt

[2] „Wabi Sabi“ ist japanisch und bedeutet „Erste Zusammenkunft - Letzte Zusammenkunft“

[3] Aristoteles, Metaphysik, Buch a, 993b, 994a, 994b > Gottesbeweise-aus-der-Unmoeglichkeit-infiniter-Begruendungsreihen-intrinsis.de.html

[4] „Causa finalis“ > Causa-finalis-intrinsis.de.html

[5] Jer 17,7-8 > http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/jer17.html#7 | Backup .txt


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Dieser Artikel wurde erstmals veröffentlicht am 9. januar 2020 auf www.intrinsis.de unter ../START.html/2020/01/09/wabi-sabi/

PH - 2019-12-31 - 2020-01-13 - 2020-01-17

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