Das Geschenk Hoffnung

Für Jorge

Das uralte Buch Hiob [1] ist das wichtigste Buch für den ultimativ leidvoll geprüften Beduinen (Anm.: wir würden ihn heute als „Araber“ bezeichnen) dessen Archetyp der Wanderer ist. Wer also noch nie etwas von der Hoffnung schlechthin gehört hat, der sollte es zuerst lesen oder sich von den Alten berichten lassen, wie sie dem finstersten Kellerloch ihres Lebens entronnen sind und deshalb ihrem Schöpfer in seiner Eigenschaft als Weltenlenker - jeder  auf seine Weise  - den Lobpreis anstimmen. Aber auch der nach langem Suchen sesshaft Gewordene vermag etwas Empathie zu empfinden, wenn er die Monologe wider den scheinbar stumm gewordenen Geber alles Guten liest. Beide aber haben mit dem Zweifel an Gott wesentlich weniger zu tun als der heutige, auf Autonomie seiner selbst und auf Sesshaftigkeit konditionierte Demokrat mit seinem Zwang zur absoluten Ab- und Versicherung seiner Scholle, die er  „Leben“ nennt. Wenn es aber dann doch eines Tages um sein nacktes Überleben geht, dann verbleibt ihm wie dem Wanderer nur die Hoffnung, dass es weitergeht, dass er weiter geht, zum Beispiel indem er weiterliest:

Das existenzielle Können von Hoffnung, also das, was das Hoffen schlechthin meint, bringen wir nicht aus uns selbst heraus zustande, weshalb Hoffnung eine Tugend genannt wird, denn jede der Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe ist ein Geschenk. Und eben weil also Tugend Geschenk ist, deswegen kann der Mensch nicht für etwas be- und verurteilt werden, was er an Glaube, Hoffnung, Liebe NICHT besitzt. Geschenke aber müssen erwartet, gewissermaßen erbeten sein, sonst können sie nicht als solche erkannt werden. Die Erwartung eines Geschenks setzt im Gegensatz zum Glauben das Wissen voraus, dass der Schenkende über die erwartete Sache verfügt. Eine unerbetene Übereignung aber kann im strengen Sinne nicht Geschenk sein, sondern befindet sich qualitativ auf der Ebene der Ent-Sorgung.

Daraus ergibt sich eine grundlegend existenzielle Schlussfolgerung: „Der Mensch bewegt sich im Kraftfeld einer über-menschlichen Wirklichkeit. Nur von dort her vermag er Auskunft auf sein Heil zu empfangen. Die Fähigkeit, selbst noch inmitten der Katastrophe, eines glücklichen Endes, eines endgültigen Gelingens der persönlichen Existenz gewiss zu sein, kann nur dann zuteil werden, wenn wir uns jenem Über-Natürlichen öffnen, was die Kirche „göttliches Einwirken“ nennt.“ [2]

„Die Hoffnung greift über die Existenz des leibhaftigen Bestandes des ‚Hiesigen‘ hinaus. Platon spricht von der Hoffnung, als ‚auf Rückkehr zur heilen Urgestalt angelegtes Streben, welches an die Bedingung der Einweihung geknüpft ist‘, und Einweihung ist eine theologische Kategorie.“ [2] Ohne Theologie aber bleibt der Begriff Hoffnung der Willkür des Diesseits in einer künstlichen Fixierung des Präsens ausgesetzt mit den beiden Implikationen Verzweiflung und Vermessenheit. Alle Hoffnung aber muss in finaler Konsequenz logisch auf die Zukunft ausgerichtet sein auf ein Jenseits der Gegenwart, und was kann jenseitiger sein als der Zustand einer Existenz jenseits des Todes.

„In der Hoffnung auf das Heil, nämlich auf jenes Heil, das als alles umfassendes Glück, als über-menschlich geschenktes Heil erwartet wird, gewinnt der Mensch eine Zukunft. Er gewinnt ein dermaßen grosses Quantum an Zukunft, dass demgegenüber die Vergangenheit eines noch so als reich und glückhaft erfahrenen Lebens schlichtweg als ‚wenig‘ erscheinen muss.“ [2]

Die Hoffnung ist und hält und macht jung.

„Nicht zu verzweifeln ist ein sich empirisch auf die Wirklichkeit auswirkender Zustand.“ [2] „Gott ist jünger als alle!“ [3] „Die Spannkraft der geschenkten Hoffnung strahlt in das reale Leben aus. Nichts verbürgt so sehr ewige Jugend wie die theologische Tugend der Hoffnung - die gelassene Tapferkeit des Vertrauens in das kommende Glück. Verjüngung, innere Jugendlichkeit und Hoffnung sind einander zugeordnet. Jung sein ist die Ursache der Hoffnung, denn die Jugend hat viel Zukunft und wenig Vergangenheit. Hoffnung gibt dem Menschen eine Jugendlichkeit die tiefer reicht als das bloss physisch Vitale.“ [2]

Die Nichthoffnung

Als Antipoden der Hoffnung stehen Verzweiflung und Vermessenheit. Sie zerstören als Nichthoffnung, die Jugendlichkeit des Menschen.

  • Verzweiflung ist die vergreisende Vorwegnahme der Nichterfüllung.
  • Vermessenheit ist die infantilisierende Vorwegnahme der Erfüllung.

Verzweiflung zeitigt deshalb Vergreisung, weil sie ein Nachgeben gegenüber dem allzumenschlichen Sicherheitsbedürfnis ist, das die Spannung auf dem Weg zum Glück, welche als vermeintlich unerträglicher Zustand des Noch nicht erfahren wird, nicht auszuhalten vermag.

Vermessenheit zeitigt Infantilisierung wegen der Wiederholung der vermeintlichen Sicherheit eines vergangenen Glückszustands, der ebenso die Spannung auf dem Weg zum vollkommeneren Glück aufhebt wie die Verzweiflung. Das Kindische in der Vermessenheit zeigt sich in der Vorspiegelung des verlorenen Glücks der Kindheit. Sie zeigt sich im Verhalten infantil im nachtrauernden Rückgriff auf die Unbeschwertheit und Hoffnung der irreversibel vergangenen Kindheit und im trotzigen Vorgriff auf ein selbst gewillkürtes Glück, das ihm nicht zukommt. Infantiles Verhalten Erwachsener offenbart aber nicht nur Trauer über eine nicht mehr erlebte Gegenwart, sondern demonstriert, ja zelebriert geistige Rückständigkeit durch trotzigen Stillstand. Der infantile Archetyp für Trotz gegen den Fortschritt, mithin Trotz gegen das Weitergehen, kann schon im Supermarkt beobachtet werden: die Mutter will zahlen, aber das Kleinkind will unbedingt noch das Glück im Vorgriff auf den roten Kaugummi ertrotzen im Widerstand gegen das von der höheren Instanz erforderte Weitergehen. Würde die höhere Instanz den trotzigen Vorgriff mit dem geforderten Gegenstand belohnen, dann ergäbe sich hieraus die fatale extrinsische Motivation [4], für den Rest des Lebens durch Trotz das Glück auf eine erhoffte Belohnung der Zukunft eigenwillig vorwegnehmen zu müssen. Unwiderstanden muss sich solche Infantilität in den Registern des Charakters festsetzen. Somit würde der Fortschritt des Menschen im Hinblick auf das Glück, mithin die Möglichkeit Hoffnung von einer höheren Instanz zu erbitten, nahezu verunmöglicht, woraus die pädagogisch richtige Konsequenz folgt: Trotz muss zwingend Widerstand der höheren Instanz zeitigen und zwar zugunsten der Hoffnung!

Beide, Vermessenheit und Verzweiflung, verweigern sich dem Geschenk der theologischen Tugend der Hoffnung. Beide sind Symptome für das Nichtwahrhabenwollen, dass der Mensch ein „Viator“ ist, ein „Wanderer von Schöpfungs wegen“ [2] und zwar in Richtung einer über-physisch erwarteten, allumfassenden Wirklichkeit eines Glücks, welches so unermesslich sein muss, dass es über alle in dieser Welt physikalisch und psychisch erfahr- und artikulierbare Sinnenhaftigkeit hinausreichen muss. Und genau aus diesem Grund existiert der Tod gleichsam als fest in den Blick zu nehmender und als positiv zu erkennender Bezugspunkt, sozusagen als Anfrage an den aktuellen Stand der persönlichen Hoffnung in jedem Lebensalter, als Gradmesser der Hoffnung des Wanderers auf dem Weg zum Ziel, das in jenem unermesslichen Glück besteht, welches sich in seiner Unermesslichkeit nur darum auszuweisen vermag, da es eben über eine sich der eigenen Kontrolle entziehende und unabwendbare „Sprungmarke“ (Tod) zwingend hinausreichen muss.

Verweiflung aber und die Vermessenheit verhindern das Erreichen des Glücks, weil sie den unabwendbaren Tod ignorieren. Zwar bewegen sich der Verzweifelte und der Vermessene widerwillig auf den unabwendbaren Tod zu, aber sozusagen mit dem Blick rückwärts auf die in der Vergangenheit real glückhaft erlebten Momente (im Supermarkt) hin, und seitwärts, im hypnotisch fixierten Blick auf die immer verfügbaren, irrlichternden Vorspiegelungen des Glücks anderer, vermittels der durch die Massenmedien induzierten virtuellen Phantasien und ihrer von professionellen Gurus vorgespiegelten Blendwerke, die samt und sonders für den Moment der Betrachtung eine ebenso unbefriedigende Realität vermitteln, wie ein Fix Heroin, zwei Gläser Wodka oder der One-night-stand.

Vermessenheit und Verzweiflung deuten den Tod als absolutes Ende des in der Vergangenheit erfahrenen Glücks, welches für eine Zukunft danach deshalb nicht mehr erwartbar sein kann, weil der Tod als Ende der gesamten menschlichen Existenz gedeutet wird, und darin besteht der Grundirrtum, denn das vom Startpunkt seines Erschaffens unabwendbare Weiterexistieren bis in Ewigkeit ist eine Tatsache, die sich aus dem Grammatischen Gottesbeweis [5] ergibt. Infolgedessen ist hieraus logisch ableitbar, dass der Tod als Wegmarke im menschlichen Weiterexistieren dient und, dass der Mensch in seiner Eigenschaft als geistiges Wesen gehalten ist, die Antwort zu finden auf die ihm dauerhaft vorgelegten, wesentlichen Fragen: „Wo komme ich her?“ „Wo gehe ich hin?“

Der Mensch ist also ein Werdender, ein nach vorne-oben Strebender, ein auf das immer noch grössere, immer noch höhere Glück hin Ausgerichteter, ein Wanderer. Jenes Glück ist gemeint, das alles in Vollkommenheit umfasst: Heilung, Schönheit, Gesundheit, Jugend, Heiligung. Dieses Ziel aber, dieser vollkommene Grad des Heiles wird Zeit des Lebens als noch nicht gänzlich erreicht erfahren. Diese noch nicht seiende Wirklichkeit muss als beständige Anfrage seines Schöpfers an den Menschen als seine Kreation interpretiert werden, gleichsam als Dauer-Ping, als Anfrage, die die Antwort des Menschen erfordert: „Ich bin der hier und jetzt und heute Seiende: Deine Kreation im Hinblick auf das Glück, auf das Heil“. Diese Antwort signalisiert dem Sender der Hoffnung die Bereitschaft des Empfängers.

Das Noch nicht des allumfassenden Heiles ist die eigentliche Struktur, die eigentliche Verfassung des Wanderers. Insoweit diese Struktur, mithin Verfassung ignoriert wird, zeigt sich der Mensch als Nicht-Wanderer, als in statischer Vermessenheit Stehengebliebener, da er das Glück entweder als trügerisches Glück des Reichtums oder als Tod in der Vergreisung der Verzweiflung vorwegnimmt.

Die Hoffnung aber will erwartet, ersehnt, erbeten werden. Die Erwartung eines Geschenks setzt aber das Wissen voraus, dass der Schenkende über die erwartete Sache verfügt. Hoffnung aber kann nur vom Verursacher, mithin Verfüger allen Lebens geschenkt werden, und solche Hoffnung im Auftrage des Verursachers allen Lebens zu vermitteln, hat die katholische Kirche vermittels der Sakramente zur Aufgabe. Jener Schöpfer ist derselbe, der uns alle erschaffen hat. Um des Geschenkes der Hoffnung teilhaftig zu werden, erbitten wir von IHM vermittels der Kirche den Glauben, weil wir keinen besitzen! Aber mit dem Glauben der Kirche ist nicht Fideismus gemeint, ein blindes Fürwahr- oder Fürmöglichhalten, sondern eine Anforderung an die Vernunft, denn „schlussfolgerndes Denken kann mit Sicherheit die Existenz Gottes und seine unendliche Vollkommenheit beweisen. Der Glaube, ein Geschenk des Himmels, folgt der Offenbarung erst nach.“ [6] Verfügen wir dann über solchen Glauben, dann vermögen wir die Hoffnung zu erbitten, weil wir keine besitzen! Und haben wir dann die Hoffnung, dann werden wir vom Verursacher allen Lebens auch die Liebe erbitten, weil wir keine besitzen! Wozu aber noch die Liebe erbitten? Weil wir nur mittels der Tugend der Liebe sogar angesichts des Risikos der Ablehnung bereit sein werden, anderen von der Hoffnung zu zeugen, die uns erfasst hat - ganz entgegengesetzt zu jenem früheren, uralten egoistischen Habenwollen (des roten Kaugummis), was die Kirche überaus treffend Hab-Sucht nennt, die nur das Ego zum Ziel hat. So gross ist die dem Menschen zugeeignete Freiheit, dass er zwischen guter Wahl und böser Wahl entscheiden darf, ja muss. Was aber wird uns in unserer Wahl überzeugen angesichts so vieler gleissender Verheissungen vorgeblich perfekter Pläne für Erfolg und kurzfristiges Glück? Es ist nicht der perfekte „Plan“, der uns überzeugt, sondern es ist die Liebe, die den anderen, den Nachbarn in den Fokus nimmt anstatt das Ego. Durch die Liebe sieht man sich plötzlich veranlasst den „Orbit“ zu wechseln, vom Kreisen um sich selbst weg, hin zum „Orbit“ der diskreten Verfügungsbereitschaft zugunsten des Nachbarn.

Oben wurde gesagt: „weil Tugend Geschenk ist, deswegen kann der Mensch nicht für etwas be- und verurteilt werden, was er an Glaube, Hoffnung, Liebe NICHT besitzt.“ Die Selbstverurteilung zum Nichtglück erfolgt erst aufgrund der trotzigen Nichtinanspruchnahme eines bereitgestellten Geschenks, weil man dessen Geber bewusst ablehnt. Hat aber der Mensch gegen alle inneren und äusseren Widerstände den Glauben an die Hoffnung willentlich erbeten und dann sogar erhalten (denn auch der Geber alles Guten ist frei in Seinen Entscheidungen), dann findet er sein Glück im Festhalten daran, und zwar jetzt nunmehr wider alle Vermessenheit und Verzweiflung und wider eine Welt, die trotzig den Tod als Glücksverhinderer denunziert. Das Glück solcher, wahrer Freiheit zeitigt wahre Souveränität! Im unbedingten Festhalten an der ihm geschenkten Tugend Hoffnung besiegt der Mensch nunmehr alle Vermessenheit und Verzweiflung; er besiegt den Tod!

Die Hoffnung schlechthin spricht der Araber Hiob im Namen aller Zweifler der Weltzeit aus:

„Wenn Er mich auch tötet - Ich werde auf Ihn hoffen.“ [7]

PH

[1] Das Buch Hiob: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/ijob1.html  | Textfile Hiob 1-42

[2] Josef Pieper, „Hoffnung und Hoffnungslosigkeit“ | Originalaufnahme Prof. Pieper BACKUP .MP3 (30. Min.) | [3] Aurelius Augustinus, de genesi ad litteram VIII, 26, 48.

[4] Extrinsische Motivation im Artikel „Intrinsische Motivation

[5] siehe Artikel „Der Grammatische Gottesbeweis

[6] Papst Gregor XVI. legte Prof. Bautain im Jahre 1840 den Satz wider den Fideismus zur Unterschrift vor: „Schlussfolgerndes Denken kann mit Sicherheit die Existenz Gottes und seine unendliche Vollkommenheit beweisen. Der Glaube (der Kirche), ein Geschenk des Himmels, folgt der Offenbarung erst nach.“ Prof. Bautain hat schliesslich unterschrieben. | siehe „Gottesbeweis“ | vgl. „Logik

[7] Zitat Deeplink Hiob 13,15: „https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/ijob13.html#15 | Textfile Hiob 13,15


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Dieser Artikel wurde erstmals veröffentlicht am 1. März 2020 auf Das-Geschenk-Hoffnung-intrinsis.de.html

PH - 2020-03-01 - 2020-03-02 - 2020-03-04

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